Theodor Spöttle (1857-1925)

Theodor Spöttle (1857-1925)

Förderer der Herz-Jesu-Kirche


Dr. Elmar Blessing

Am 7. Februar 1922 trat der Kirchenstiftungsrat der neu errichteten katholischen Pfarrei Herz Jesu zu seiner ersten Sitzung zusammen. Vor Eintritt in die Tagesordnung spricht der Vorsitzende, Stadtpfarrer Ströbele, Herrn Spöttle wiederholt die Anerkennung und den Dank der Gemeinde für seine erfolgreiche und energische Förderung des Kirchenbaus, angefangen von der Erwerbung des Bauplatzes bis zur Kircheneinweihung aus. Herr Spöttle dankt für die Anerkennung und erklärt, den schönsten Lohn seiner Bemühungen erblicke er in dem überaus erfreulichen und wachsenden Besuch der Kirche.

In der Literatur, die sich mit der Geschichte und dem Bau der Herz-Jesu-Kirche beschäftigt, werden die Geistlichen, die Architekten und die Künstler genannt, der Name Theodor Spöttle aber fehlt. In der Pfarrchronik von St. Nikolaus heißt es zum Beispiel: Vom Jahr 1904 bis zum Jahr 1921 nahmen die Bemühungen um den Bau dieser Kirche die damaligen Stadtpfarrer, den Kirchenstiftungsrat und verschiedene Gemeindemitglieder in Anspruch. Stadtpfarrer Aigeltinger erkannte bald nach seiner Amtsübernahme in St. Nikolaus, dass es im Interesse der Seelsorge notwendig sei, eine Kirche in der Gegend von Gaisburg und Gablenberg zu bauen, da einerseits die Seelenzahl in dieser Gegend durch Neubauten immer mehr anstieg, andererseits aber viele Gemeindeangehörige dort wegen des immerhin etwas weiten Wegs zur Nikolauskirche ihrer Sonntagspflicht nicht nachkommen konnten oder wollten. Es galt daher in erster Linie sich einen passenden Bauplatz zu sichern.

Durch die Gewichtigkeit der Gründe ließ sich der Gesamtkirchengemeinderat auf Antrag des Kirchenstiftungsrats von St. Nikolaus bewegen, einen genügend großen Bauplatz an der Schurwaldstraße in Gaisburg im September 1904 anzukaufen. Auch in einem offiziellen Gutachten `Betreff Erwerbung eines Kirchenbauplatzes in Gaisburg´ des Katholischen Dekanatsamts Stuttgart, angefertigt vom Vorsitzenden Dekan Schneider, wird der Name Spöttle nicht aufgeführt.

Wer war nun dieser Theodor Spöttle? Aus der Chronik der Familie Spöttle, angefertigt von seinem Enkel Dr. Jörg Schneider: Am 18. September 1857 wurde in der Mühle in Durach bei Kempten ein Junge geboren und auf den Namen Theodor getauft. Theodor besuchte die Duracher Dorfschule, anschließend machte er eine Lehre als Schriftsetzer bei der `Allgäuer Zeitung´ in Kempten. Nach der Lehre ging Theodor, wie damals üblich, auf Wanderschaft. Offensichtlich war Theodor reiselustig, denn nach einiger Zeit teilte er seinen Eltern mit, dass er in Braunschweig arbeite und die Frau seines Lebens gefunden habe, eine Hausangestellte aus Kleinwerther bei Nordhausen, und dass er diese Frau heiraten wolle. Vermutlich sorgte diese Nachricht in der Mühle in Durach für Aufregung. Die Mutter – Frau Müllerin -, die wohl noch nie mit der Bahn gereist war, machte sich mit ihrem Bündel auf den Weg ins Königreich Hannover, bzw. nach Braunschweig, zu einer Besprechung mit Sohn und dessen Auserwählter. Die Mutter erklärte ihrem Sohn als Erstes, dass er als bayerischer Staatsbürger bevor er 21 Jahre alt sei, nicht heiraten könne. Das zweite Argument gegen eine Ehe war, dass die Auserwählte älter sei als er. Das dritte Argument war die evangelisch-lutherische Abstammung der Braut. Die Mutter musste aber unverrichteter Dinge wieder abreisen.

Der Sohn hatte dann ausfindig gemacht, dass in Basel Sonderrechte für Bürger aus dem Deutschen Reich bestanden, und er zog mit Braut in die Schweiz. Theodor Spöttle hat offensichtlich in Basel gearbeitet, bis er 21 Jahre alt war und ist dann nach Singen am Hohentwiel übergesiedelt. Dort war er wohl Schriftleiter für die dortige Lokalzeitung. Warum Theodor in den Arbeitervorort Gaisburg bei Stuttgart übergesiedelt ist, ist nicht bekannt. Da er katholisch war und der Weingärtnerweiler seit der Reformation evangelisch, können nur wirtschaftliche Hoffnungen in die aufstrebende Industriestadt Stuttgart der Grund gewesen sein. Diese Hoffnungen haben sich zweifelsohne erfüllt. In der Familie (bei ihm selbst und dem ältesten Sohn offensichtlich) gab es Lungentuberkulose. Der Arzt empfahl: `Arbeit im Pferdestall´. Der Ammoniakduft des Pferdemistes wurde als Therapeutikum angesehen. Spöttle eröffnete seine Setzerei im Pferdestall hinter der Wirtschaft `Fässle´ in der Gartenstraße 10, heute Welzheimer Straße, und wurde offensichtlich geheilt. Da er sehr fleißig und tüchtig war, entwickelte sich sein Unternehmen zu einer angesehenen Druckerei mit kleinem Zeitungsverlag. Alle Kinder arbeiteten bis in die Nacht hinein mit und hatten auch das Gedruckte wegzutragen oder in die Stadt zu bringen. Das Geschäft blühte vor dem Ersten Weltkrieg. Zuerst zog die Familie in das Haus um, in dem heute die Zahnarztpraxis Gaisburg ist, später wurde dieses Haus verkauft und 1905 das stattliche Haus Hauptstraße 1 (Hornbergstr. 51) gebaut.

Die sozialen und gesellschaftlichen Zustände, die Spöttle in Gaisburg antraf, waren ihm nicht gleichgültig, im Gegenteil, sie mögen Ansporn gewesen sein, sie zu ändern und mit den neu zugezogenen Katholiken eine Gemeinschaft zu bilden. In seiner neuen Heimat machte er auch Karriere und wurde ein angesehener Bürger und Geschäftsmann. Er war Mitglied der sogenannten `Donnerstagsgesellschaft´. Dies war ein kleiner Zirkel der einflussreichsten Männer im `Oberdorf´, die sich zunächst mittwochs in der `Bäckerschmide´ und spätestens ab 1910 donnerstags in der Gaststätte `Burg´ trafen.

Bei diesen Zusammenkünften wurde nicht nur die Geselligkeit gepflegt, sondern wurden auch wichtige Gespräche und Diskussionen geführt sowie wirtschaftliche und kommunalpolitische Entscheidungen getroffen bzw. beeinflusst. In diesem Zirkel wird auch die Kirchenbaufrage besprochen worden sein, denn nicht von ungefähr fällt der Kauf des Kirchenbauplatzes in die Zeit, als die Donnerstagsgesellschaft noch mittwochs in der `Bäckerschmide´ tagte. Hier bot sich für Spöttle die günstige Gelegenheit, mit Unterstützung seines einflussreichen Freundes, Gemeinderat Theurer, von der Bäckerschmide-Wirtin den Bauplatz zu erwerben.

Lange konnte Theodor Spöttle die Entwicklung `seiner´ Herz-Jesu-Gemeinde nicht mehr verfolgen, er starb am 1. Dezember 1925 und wurde auf dem Gaisburger Friedhof beerdigt, wo sein Grab heute noch besucht werden kann. Stadtpfarrer Ströbele gedachte in der Sitzung des Kirchengemeinderates am 30. Dezember des schweren Verlustes durch den vor kurzem erfolgten Heimgang seiner beiden verdienten Mitglieder Spöttle und Schüle. Spöttle hatte noch testamentarisch 1000 RM für den Bau des Kirchturms – aber nur zu diesem Zweck – vermacht.

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